Auch in Hegyeshalom und Zurndorf wurden hunderte Opfer begraben. Dieter Wisliceny nennt 500 Tote für Hegyeshalom, und berichtet von 600 bis 700 Toten in Zurndorf.[10] Aus den Zahlen wird ersichtlich, dass ungefähr 4000 Menschen allein in den beiderseits der Grenze gelegenen Ortschaften umkamen. Offenbar war man deutscherseits bemüht, die erschöpften und dem Tode nahen Jüdinnen und Juden noch auf ungarischem Gebiet auszusondern. Trotzdem erreichten noch hunderte Erschöpfte und Kranke den Grenzort Zurndorf, wie auch aus einem Volksgerichtsverfahren gegen unbekannte Täter aus dem Jahr 1946 hervorgeht.[11]
1946 informierte die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl das Bezirksgericht in Neusiedl über die Massengräber. Die Vorerhebungen ergaben, dass im Ort insgesamt vier Massengräber bekannt waren, die Anzahl der Toten wurde nunmehr aber nur noch mit 120 – 130 Personen angegeben. In weiterer Folge vernahm die Gendarmerie die beiden Totengräber des Ortes. Beide gaben an, dass Ende 1944 ein Zug mit ungarischen Juden im Zurndorfer Bahnhof stand. Aus diesem Zug starben während seines Aufenthaltes täglich einige Personen. „Die Leichen wurden dann immer in der Nähe des Bahnhofs aufgestapelt.“ Mit Hilfe einiger russischer Kriegsgefangener beerdigten die beiden Totengräber die Verstorbenen auf dem sogenannten „Aasplatz“ der Gemeinde.[12]
Die Aussage des damaligen NS-Bürgermeisters bringt etwas mehr Licht in die Hintergründe dieser Angelegenheit. Er erzählte, dass im Dezember 1944 zwei SS-Offiziere zu ihm kamen, und ihm auftrugen Quartiere „für mehrere Leute“ – angeblich Soldaten – vorzubereiten. Zu diesem Zweck wurden mitten im Ort zwei Maschinenschuppen beschlagnahmt und mit Stroh ausgelegt. Kurz darauf kam ein Zug mit ungarischen Jüdinnen und Juden in Zurndorf an, aus dem „etliche“ Personen ausgeladen wurden. „Auch in den folgenden Tagen kamen wiederholt Transporte nach Zurndorf, aus denen verschiedene Juden, offenbar die kranken und transportunfähigen, ausgeladen und in die Scheune geschafft wurden. Soweit mir aus dem Gerede der Zurndorfer bekannt geworden ist, waren wiederholt Menschen bei diesen Transporten erfroren oder sonst auf irgendwelche Art gestorben. Man sprach allgemein, dass die Juden Ruhr gehabt hätten. Die Toten wurden in das nahe dem Ort errichtete Massengrab gebracht, ebenso die, die in den Scheunen verstorben waren.“[13]
Die Aussage läßt vermuten, dass aus den ständig den Bahnhof des Ortes passierenden Zügen die Toten, Kranken und nicht mehr arbeitsfähigen Personen systematisch ausgesondert und in den beiden Schuppen einquartiert, bzw. in mehreren Massengräbern beerdigt wurden.
Eines der Gebäude existiert heute noch in etwas veränderter Form in der Schlachthausgasse, und dient auch noch immer als Maschinenschuppen. Michael Pschaiden, der Sohn des ehemaligen NS-Bürgermeisters, erzählte uns 2016, dass vor den Stadeln immer ein bewaffneter Posten stand. Trotzdem war die Zurndorfer Bevölkerung in Kontakt mit den Jüdinnen und Juden. Es soll sogar möglich gewesen sein, ihnen warmes Wasser, Brennholz und Lebensmittel zukommen zu lassen. Das Essen brachte ein LKW zu den Stadeln. Eines Tages kamen zwei jüdische Ärzte nach Zurndorf, die von seinem Vater beim Gemeindewirt einquartiert und auch dort verpflegt wurden. Angeblich sollen vom Apotheker Medikamente zur Verfügung gestellt worden sein. Immer wieder kamen neue Personen an, andere Gruppen wurden wieder abgezogen.[14]
Der ehemalige Bürgermeister berichtete ebenfalls von der Ankunft zweier jüdischer Ärzte, denen er im Ort Privatquartiere besorgen musste. Diese Ärzte besaßen anscheinend auch Medikamente, konnten aber nicht mehr viel gegen die grassierende Flecktyphus-Epidemie ausrichten. In seiner Aussage betonte er, dass seines Wissens nach niemand auf gewaltsame Art ums Leben gekommen sei.[15]
Wisliceny bestätigt die Anwesenheit von zwei Ärzten in Zurndorf. „Aus Wien habe ich zwei jüdische Ärzte mit Medikamenten nach Zurndorf kommen lassen. Krumey gab die Erlaubnis dazu. Dr. Tuchmann stellte die Medikamente zur Verfügung. Die Ärzte konnten nur wenig tun.“ [16]
Während der Voruntersuchungen sagten die drei befragten Zeugen aus Zurndorf übereinstimmend aus, dass es keinerlei Gewalt gegen die Jüdinnen und Juden gegeben habe, und das alle Toten von Zurndorf an Flecktyphus verstorben seien. Nach Abschluß der Zeugeneinvernahmen sandte das Bezirksgericht Neusiedl eine Anfrage an die Staatsanwaltschaft in Wien, ob angesichts der Untersuchungsergebnisse ein gerichtlicher Augenschein und eine Leichenbeschau vorgenommen werden solle. Die lapidare Antwort der Staatsanwaltschaft lautete auf Einstellung der Strafsache aufgrund von § 90 Strafprozeßordnung.[17]
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[10] Der Kastner-Bericht über Eichmanns Menschenhandel in Ungarn. München 1961. S. 275
[11] Wiener Stadt- und Landesarchiv . Vg 3c Vr 5800/46 gegen unbekannte Täter.
[12] Wiener Stadt- und Landesarchiv . Vg 3c Vr 5800/46 gegen unbekannte Täter. Zeugenvernehmung mit dem Totengräber von Zurndorf vom 20. September 1946 und undatierte Zeugenvernehmung mit dem ehemaligen Wasenmeister von Zurndorf.
[13] Wiener Stadt- und Landesarchiv . Vg 3c Vr 5800/46 gegen unbekannte Täter. Zeugenvernehmung des ehemaligen NS-Bürgermeisters von Zurndorf am 8. November 1946.
[14] Interview mit Michael Pschaiden, 4. November 2016.
[15] Wiener Stadt- und Landesarchiv . Vg 3c Vr 5800/46 gegen unbekannte Täter. Zeugenvernehmung des ehemaligen NS-Bürgermeisters von Zurndorf am 8. November 1946.
[16] Der Kastner-Bericht über Eichmanns Menschenhandel in Ungarn. München 1961. S. 275
[17] Wiener Stadt- und Landesarchiv . Vg 3c Vr 5800/46 gegen unbekannte Täter. Antrags- und Verfügungsbogen, S. 2f. Findet der Staatsanwalt zuwenig Gründe um ein Strafverfahren einzuleiten, können laut § 90 die Vorerhebungen eingestellt werden.