Bereits Mitte Februar 1945 mussten HJ-Burschen im Urbarialwald von Strem eine Grube von etwa 4 x 4 Meter Umfang und 2 Meter Tiefe ausheben. Den Jugendlichen wurde erklärt, es handle sich um eine Grube zum Testen einer neuen Waffe. Da die Grube nicht zeitgerecht fertig wurde, befahl Bannführer Schilcher den HJ-Burschen am nächsten Morgen in aller Früh weiterzugraben. Noch vor Sonnenaufgang arbeiteten sie im Licht von Taschenlampen weiter, und um etwa 8 Uhr in der Früh war die Grube schließlich fertiggestellt. Auf dem Rückweg ins Quartier kam ihnen Bannführer Schilcher mit sieben weiteren HJ-Angehörigen entgegen. Der Trupp um Schilcher begab sich dann zur Grube. Am Vortag erfuhren diese sieben HJ-Burschen während einer der üblichen „Führerbesprechungen“ in der HJ-Kanzlei von Schilcher, dass am nächsten Morgen typhuskranke Juden erschossen werden. Bei der Grube warteten sie auf die Juden, die mit einem Wagen herbeigeführt werden sollten. Nachdem dies zu lange dauerte ging ihnen Schilcher mit dem HJ-Burschen Dex entgegen. Sie trafen die Juden am Waldrand rastend an und Bannführer Schilcher befahl den sofortigen Aufbruch. Schilcher gab Dex die Anweisung einen der Juden an Ort und Stelle zu erschiessen, da dieser nicht mehr fähig schien den Weg bis zur Grube zurücklegen zu können. Dex weigerte sich und erbat sich statt dessen zwei Juden, die den nicht Gehfähigen stützen sollten. Schilcher genehmigte diesen Vorschlag, und ging mit den übrigen Juden zur Grube voraus. Insgesamt soll es sich um 12 bis 15 Ungarn gehandelt haben. Nach der Ankunft an der Grube ließ Schilcher die Juden in Gruppen von drei bis vier Personen vor der Grube Aufstellung nehmen. Sodann erschossen Schilcher und fünf der anwesenden HJ-Burschen die Ungarn. Zwei Jugendliche, Kobierski und Strasser, beteiligten sich nicht an der Erschießung. Kobierski – er war der Älteste der HJ-Burschen und stammte aus einer oppositionell eingestellten Familie – konnte sich deshalb entziehen, da er an diesem Morgen bewußt keine Waffe mitnahm. Nachdem Dex etwas später mit den letzten drei ungarischen Juden bei der Grube eintraf, wurden auch diese erschossen.[1]
Eine Woche später mußte wieder eine Grube ausgehoben werden, diesmal mit Hilfe von ukrainischen Zwangsarbeitern. Der HJ-Bursche Wilhelm Strobl erhielt den Auftrag, sieben Juden mit einem Fuhrwerk bis zum Wald zu bringen. Die Erschießung verlief ähnlich wie die vorhergehende bis auf den Umstand, dass diesmal ein unbekannter SS-Mann an der Erschießung beteiligt gewesen sein soll.[2]
Hintergrund dieser beiden Massenerschießungen war der Ausbruch von Fleckfieber Anfang des Jahres 1945 in den Lagern mit ungarischen Juden entlang des Südostwalles. Da die verantwortliche Führung am Südostwall offensichtlich weder Medikamente gegen die Seuche einsetzen noch die hygienischen Bedingungen in den Lagern grundsätzlich verberssern wollte, musste nach einem anderen Ausweg gesucht werden. So entstanden mancherorts – meist außerhalb des bebauten Gebietes – Quarantänelager, die auch oft als „Lazarett“, „Krankenlager“ oder „Krankenstation“ bezeichnet wurden. In Wahrheit handelte es sich bei ihnen um nichts anderes als Sterbelager.
Eine weitere Möglichkeit sich der Kranken zu entledigen, war ihre Erschießung. Schon kurz nach der Ankunft der ungarischen Juden in Strem teilte Franz Böchheimer, der örtliche technische Leiter des Stellungsbaues der Organisation Todt, Kreisleiter Meissl seinen Verdacht auf Flecktyphus unter den Ungarn mit. Meissl erschien daraufhin zusammen mit Dr. Bock, dem zuständigen Arzt des Landratsamtes Güssing, zur Untersuchung der Zwangsarbeiter in Strem. Zwar war sich Dr. Bock bezüglich einer Diagnose von Fleckfieber nicht völlig sicher, aber Meissl bestand auf einer eindeutigen Antwort. Deshalb erklärte Dr. Bock schließlich, dass die Ungarn „wahrscheinlich flecktyphuskrank“ seien. Der Kreisleiter ordnete daraufhin die Quarantäne über das Lager an und ließ eine Entlausungsanlage in Strem aufbauen.[3] Kurze Zeit später ereignete sich die erste Erschießung von angeblich flecktyphuskranken Ungarn im Wald bei Strem.[4]
[1] LG Wien Vg 1 Vr 900/45 gegen Schmidt u.a., Urteil, Blatt 480ff.
[2] LG Wien Vg 1 Vr 900/45 gegen Schmidt u.a., Urteil, Blatt 475.
[3] Eleonore Lappin-Eppel. Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz – Todesmärsche – Folgen. Wien, Münster o.J. S. 328.
[4] Drei der Opfer sind namentlich bekannt. Es handelt sich um György Bricht, Nikolaus Himmler und Josef Weiss. Archiv der IKG Wien, Felsberg-Akten, Mappe Burgenland-Gräber.