Der Großteil der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter traf im Februar und März 1945 im „Unterabschnitt V/4 Kalch“ ein. Sie standen bereits vorher um Sopron im Schanzeinsatz und kamen dementsprechend erschöpft und krank in Kalch an. Man teilte sie auf mehrere Quartiere in Neuhaus, Kalch, Bonisdorf und Ocinje (Slowenien) auf. Im Quartier und auf den Baustellen bewachte sie eine Einheit kroatischer Waffen-SS. Es handelte sich dabei um Angehörige des SS-Baubataillon „Kama“.
Schon in der zweiten Februarhälfte traten im Abschnitt V die ersten Fälle von Fleckfieber unter den ungarischen Zwangsarbeitern auf. Eine Kommission aus drei Ärzten, darunter der Amtsarzt von Feldbach Dr. Josef Schütz, reiste an und bestätigte die Fleckfieberfälle. Dr. Schütz empfahl den im Abschnitt V eingesetzten Ärzten – Dr. Stadler aus Minihof-Liebau, Dr. Steudte aus Jennersdorf und Dr. Koller aus Fehring – die Kranken mit Arsen zu vergiften. Diesen Vorschlag wiesen die Ärzte jedoch zurück. Daraufhin versprach man den Unterabschnitts-Ärzten, Maßnahmen zur Isolation der Kranken zu veranlassen. Wie auch an anderen Stellen des Südostwalles richtete die Abschnittsleitung jedoch nach dem massiven Anstieg der Erkrankungen lediglich eine sogenannte „Isolierstation“ – oft auch als „Lazarett“ bezeichnet – ein. Dieses angebliche „Lazarett“ bestand aus einigen Zelten, die auf einer Wiese im Gemeindegebiet von Krottendorf aufgestellt wurden, etwa auf halbem Weg zwischen Neuhaus und Kalch. Einige jüdische Ärzte wohnten in der Pfarre in Neuhaus. Sie durften ihre Kameraden „behandeln“, ohne aber die entsprechenden Medikamente zur Verfügung gestellt zu bekommen. Am 23. März 1945 waren etwa 40 Schwerkranke im Zeltlager untergebracht. Am gleichen Tag wurden auf Weisung des Unterabschnittsführers Walter Freudensprung weitere kranke und erschöpfte Zwangsarbeiter aus den Lagern in Neuhaus und Kalch mit einem Wehrmachts-LKW zur „Isolierstation“ gebracht. Dort übernahm HJ-Bannführer Hermann Reitinger die Neuankömmlinge. Denn nach dem massiven Ausbruch einer Fleckfieber-Epidemie in den steirischen Bauabschnitten erließ die Gauleitung Steiermark eine folgenschweren Befehl. Der Leiter des Gauorganisationsamtes Franz Steindl, dem Gauleiter Uiberreither die Oberaufsicht über den Bau des Südostwalles übertragen hatte, ordnete über die Abschnittsleitungen am Südostwall (= Kreisleitungen) den Befehl zur Tötung aller „unheilbar Typhuskranken“ an. Kreisleiter Anton Rutte vom Bauabschnitt V bestätigte in einer Zeugenbefragung nach Kriegsende den Erhalt dieses Befehls, den er nach eigener Aussage an alle ihm unterstellten Unterabschnittsleiter weitergab. Nach Krottendorf schickte Kreisleiter Rutte aber außerdem seinen engen Vertrauten HJ-Bannführer Reitinger. Das geschah nach Ruttes Aussage da er den Eindruck hatte, dass in Krottendorf „mit den Erschießungen gezögert worden war.“ Auf dem Weg nach Krottendorf besorgte sich Reitinger (vermutlich) im SS-Genesungslager in der Gleichenbergstrasse in Feldbach sechs zuverlässige SS-Männer für seine Mordaktion. Die kroatischen SS-Wachmänner der Lager um Kalch hatten sich nämlich bereits einige Tage vorher nach Westen abgesetzt. Am 23. März trieb das Mordkommando insgesamt 83 Ungarn wenige hundert Meter südlich des Lagers in den Wald und erschoß sie in einem von osteuropäischen Fremdarbeitern vorbereiteten Massengrab. Obwohl der Ort des „Lazaretts“ so ausgesucht wurde, dass er für die Bevölkerung möglichst nicht einsehbar war, konnten einige Bewohner das Massaker aus der Ferne vom Kalchberg mitverfolgen und die Schüsse deutlich hören. Während der Erschießungen sperrte die SS die Straße zwischen Neuhaus und Kalch ab.
Das Massengrab blieb nach dem Krieg vorerst unangetastet. 1964 machte das Innenministerium einen (erneuten) Anlauf zur Lokalisierung bisher unbekannt gebliebener Gräber von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus. In diesem Zusammenhang geriet auch Krottendorf in den Fokus. Im Herbst 1969 öffnete schließlich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf Anordnung des Innenministeriums das Massengrab und und bettete die 83 aufgefundenen Opfer auf den jüdischen Friedhof in Graz-Wetzelsdorf um.
Gerichtliche Ahndung des Massakers von Krottendorf
Quellen:
Burgenländisches Landesarchiv, Gemeindeberichte, Gemeindebericht Neuhaus am Klausenbach, 29. Juli 1957.
850 Jahre Neuhaus am Klausenbach, Mattersburg 2008, S. 58 - 63 und S. 173 - 176.
Udo Fellner. Bittere Heimatgeschichte, Das Schicksal der jüdischen Zwangsarbeiter in Krottendorf und Kalch. In: Gerhard Baumgartner, Eva Müllner, Rainer Münz (Hg.). Identität und Lebenswelt. Ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt im Burgenland. Eisenstadt 1989, S. 128 - 132.
Eleonore Lappin-Eppel. Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz – Todesmärsche – Folgen. Wien, Berlin 2010, S. 353 - 359.