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Zurndorf

Für viele der ungarischen Jüdinnen und Juden, die zur Arbeitsleistung in das Reich gebracht wurden, war die kleine Ortschaft Zurndorf erste Station auf reichsdeutschem Boden. Bereits auf ungarischem Gebiet, in Hegyeshalom, wechselte die Bewachung der Transporte. Ungarische Wachmannschaften übergaben die Arbeitssklaven dort an die SS. In Zurndorf übernahm SS-Hauptsturmführer Dieter Wisliceny schließlich offiziell im Namen des SEK die Ungarn und verteilte sie auf Konzentrationslager, auf Zwangsarbeiterlager im Gebiet des Gaues Niederdonau, oder auf die Baustellen entlang des Südostwalles. Eine weitere bekannte Person aus dem Umfeld der „Endlösung“ war ebenfalls in den Einsatz der ungarischen Jüdinnen und Juden als Zwangsarbeiter involviert: SS-Obersturmbannführer Rudolf Höß, der ehemalige Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz, fungierte Ende des Jahres 1944 als „Leiter des Judeneinsatzes in Niederdonau“.[1]

In einer Anzahl Berichte von Überlebenden findet sich der Hinweis auf Zurndorf, wobei der Ort in der Regel nur beiläufig erwähnt wird und lediglich als Umschlagplatz für den Weitertransport aufscheint.[2] Manche jedoch erinnern sich daran, hier zum ersten Mal wieder eine warme Mahlzeit erhalten zu haben.[3] Wenigstens zeitweise registrierte das SEK in Zurndorf auch die Ankommenden vor ihrer Weiterfahrt.[4] Zurndorf Bahnhof

Vor allem unter denjenigen, die in Fußmärschen zur Reichsgrenze geschleust wurden, waren zahlreiche Erschöpfte und Kranke anzutreffen. Schon auf ungarischem Boden häuften sich entlang der Marschroute die an Erschöpfung sowie an mutwilliger Mißhandlung Verstorbenen. Wieviele es letztlich waren, die auf den Märschen durch Ungarn ihr Leben lassen mußten, läßt sich nach den Angaben des ungarischen Historikers Szabolcs Szita nicht mehr rekonstruieren.[5] Sinn und Zweck der Übernahme in Zurndorf war aus Sicht der SS jedoch der Einsatz von Zwangsarbeitern in der deutschen (Rüstungs-) Industrie, Landwirtschaft und beim Bau von Verteidigungsanlagen. Schon in der zweiten Novemberhälfte beschwerte sich Höß daher über den Zustand der die Grenze erreichenden ungarisch-jüdischen ZwangsarbeiterInnen, und teilte mit, dass er „nur noch bestarbeitsfähige Männer, möglichst nicht über 40 Jahren, einsetzen könne“ und von einer Zurückweisung der Erschöpften, Alten und Kranken „nur aus politischen Gründen Abstand“ nehme.[6] Angeblich weigerte sich auch Wisliceny die erschöpften Menschen zu übernehmen, konnte sich mit diesem Ansinnen aber nicht bei Eichmann durchsetzen, dessen Aufgabe die Deportation aller Jüdinnen und Juden aus Ungarn war.[7] Eine Rücknahme war jedenfalls weder von Seiten der Pfeilkreuzler-Regierung noch von Eichmann erwünscht. Gegenüber Kastner erwähnte Wisliceny, dass er angeblich mit dem Internationalen und dem Schwedischen Roten Kreuz vereinbarte, „kranke und nicht arbeitsfähige Juden nicht“ zu übernehmen. Aus diesem Grund sei auf seine Veranlassung in Mosonmagyaróvár ein Sammelpunkt eingerichtet worden, in dem die in Fußmärschen eintreffenden Personen einen „Ruhe- und Verpflegungstag einschalten“ konnten.[8] Diese scheinbar humanitäre Geste relativiert sich rasch wenn man weiß, dass im wenige Kilometer entfernten Nachbarort Mosonszentmiklós nach dem Krieg ein Massengrab mit 3000 Toten gefunden wurde.[9]

 

Das provisorische Lager und die Massengräber von Zurndorf

Die Exhumierung der Opfer von Zurndorf

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[1] Vgl. Telegramm des deutschen Sondergesandten in Budapest, Edmund Veesenmayer, vom 21. November 1944. Dokumente zum Eichmannprozess, Mauthausen-Archiv, PdI 377.

[2] Vgl. die DEGOB-Protokolle 641, 985, 1188, 1437, 1495, 2495, 3009, 3068, 3139, 3484 (DEGOB: Deportáltakat Gondozó Országos Bizottság / Landeskomitee für Deportiertenfürsorge) http://www.degob.org/

[3] DEGOB-Protokolle 985, 1437, 1495, 3009.

[4] Vgl. Degob-Protokoll 1437

[5] Szabolcs Szita. Verschleppt, Verhungert, Vernichtet. Die Deportation von ungarischen Juden auf das Gebiet des annektierten Österreich 1944 – 1945. Wien 1999. S. 195

[6] Telegramm des deutschen Sondergesandten in Budapest, Edmund Veesenmayer, vom 21. November 1944. Dokumente zum Eichmannprozess, Mauthausen-Archiv, PdI 377.

[7] Bericht D. Wisliceny, 18. XI. 1946, S. 25. Dokumente zum Eichmannprozess, Mauthausen-Archiv, PdI 773

[8] Der Kastner-Bericht über Eichmanns Menschenhandel in Ungarn. München 1961. S. 274f

[9] Leopold Banny. Schild im Osten. Der Südostwall zwischen Donau und Untersteiermark 1944/45. Lackenbach 1985. S. 62