In Neudörfl befand sich eines der Familien-Arbeitslager der sogenannten „Strasshofer Juden“.[1] Gleichzeitig existierte im Ort unter der Adresse „Neudörfl Nr. 4“ ein Infektionsspital. Ebenfalls unter dieser Adresse eröffnete das Land Burgenland 1930 ein „Alters- und Siechenheim“.[2] Während der NS-Zeit verlegte man die Alten und Kranken aber in mehreren Transporten zuerst in die Anstalt Mauer-Öhling, und von dort weiter zur Ermordung nach Hartheim.[3] Das Haus diente dann ab 1943 als Infektionsabteilung des Krankenhauses Wiener Neustadt, und besaß seit 1944 offenbar auch einen Krankenstützpunkt für jüdische ZwangsarbeiterInnen. „Straßhofer Juden“ aus den umliegenden Lagern konnten hier behandelt werden.
Etwa 5000 ungarische Jüdinnen und Juden, die aufgrund von Krankheiten und des allgemein schlechten Gesundheitszustandes vom Südostwallbau abgezogen wurden, quartierte die SS im Dezember 1944 bzw. Januar 1945 in den improvisierten Lagern von Lichtenwörth und Felixdorf ein. Aus Lichtenwörth verlegte man einige der an Diphterie und Fleckfieber leidenden ungarischen Schanzarbeiterinnen in das Infektionsspital nach Neudörfl.
Auf dem Friedhof von Neudörfl bestattete man 23 bis zum Juni 1945 Verstorbene des Arbeitslagers und des jüdischen Krankenstützpunktes. Der erste bekannte Tote des Arbeitslagers Neudörfl war der erst achtjähre Peter Farago, der am 3. Dezember 1944 verstarb. Als Todesursache ist im Sterbebuch „Bronchitis“ und „Herzlähmung“ vermerkt. Auch aus dem Arbeitslager Obereggendorf lassen sich Patienten im Krankenstützpunkt Neudörfl nachweisen.
1961 erreichten gleich zwei Mitteilungen die Wiener Israelitische Kultusgemeinde, die auf die Gräber von Neudörfl aufmerksam machten. Im Januar 1961 schrieb die „Australian Jewish Welfare and Relief Society“ an die IKG und berichtete von der Suche eines Herrn Löffler nach seiner Schwester. Während seiner Recherche wurde Herr Löffler auf die Gräber von Neudörfl aufmerksam und ließ anfragen, ob die dort begrabene Magdalene Löffler seine Schwester sei.[4] Und im April desselben Jahres berichtete ein Dr. Martin Bohus von einem Besuch auf dem Friedhof von Neudörfl, bei dem er auf die beinahe schon unkenntlichen Gräber der jüdischen Kriegsopfer stieß.[5] Eine Skizze der Grabanlage vom Mai 1961[6] läßt darauf schließen, dass die IKG sofort tätig wurde. Die weiteren Nachforschungen zogen sich aber in die Länge. Im September 1963 übermittelte die Gemeinde Neudörfl der IKG eine Liste mit den Namen der 23 Toten, die im Sterbebuch der Gemeinde verzeichnet waren. Nachdem weiter nichts geschah, unterrichtete die Gemeinde die IKG am 16. August 1965 davon, dass auf dem Friedhof eine neue Bestattungshalle gebaut werde, und daher die jüdischen Gräber aufgelassen würden. Die IKG protestierte gegen diese Vorgangsweise sofort mit Hinweis auf das Gesetz vom 7. Juli 1948 (BGBl. Nr. 176) über die dauerhafte Belassung jüdischer Kriegsgräber.[7] Die Gemeinde zeigte sich einsichtig, und in den folgenden Verhandlungen wurde von beiden Parteien die Umbettung der jüdischen Opfer beschlossen. Am 17. Oktober 1966 enterdigte die Wiener Kultusgemeinde schließlich die Toten von Neudörfl. 22 Opfer wurden am 18. Oktober 1966 im Beisein des Oberabbiners Dr. Eisenberg in einem Massengrab auf dem neuen jüdischen Friedhof in Eisenstadt erneut beigesetzt. Das Kind Peter Farago erhielt auf Wunsch der Eltern, die in Ungarn ausgeforscht werden konnten, ein Einzelgrab auf dem neuen jüdischen Friedhof. Ungarn erlaubte zum Zweck der Teilnahme der Eltern an der Wiederbestattung ihres Sohnes sogar während des Kalten Krieges deren Ausreise nach Österreich.[8]
Seit dem 1. November 2006 erinnert in Neudörfl eine dreigeteilte Gedenktafel im Urnenhain des Friedhofes an die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Auf einer dieser Tafeln wird auch den zu Tode gekommenen jüdischen Zwangsarbeitern gedacht.
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[1] Zum Folgenden vgl. Eleonore Lappin-Eppel. Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz – Todesmärsche – Folgen. S. 378f.
[2] Für Hinweise zum Infektionsspital danke ich Herbert Radel aus Neudörfl.
[3] Vgl. Herbert Brettl, Michael Hess. NS-Euthanasie im Burgenland. „In eine der Direktion nicht genannte Anstalt übersetzt“. Eisenstadt 2010.
[4] Schreiben der Australian Jewish Welfare and Relief Society an die Israelitische Kultusgemeinde Wien vom Januar 1961. Archiv der IKG, Feldsberg Akten, Mappe Neudörfl.
[5] Brief von Dr. Martin Bohus an die Israelitische Kultusgemeinde Wien vom 22. April 1961. Archiv der IKG, Feldsberg Akten, Mappe Neudörfl.
[6] Archiv der IKG, Feldsberg Akten, Mappe Neudörfl.
[7] Schreiben des Gemeindeamtes Neudörfl an die Israelitische Kultusgemeinde Wien vom 16. August 1965 und Schreiben der IKG an das Bundesministerium des Innern vom 1. September 1965. Archiv der IKG, Feldsberg Akten, Mappe Neudörfl.
[8] Schreiben von Ivan Katscher an Präsident Feldsberg vom 15. Juli 1966 und Dankschreiben der Familie Farago an Präsident Feldsberg vom 7. Dezember 1966. Archiv der IKG, Feldsberg Akten, Mappe Neudörfl.