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Der zweite Donnerskirchen-Prozeß

Im Wiener Landesgericht schien man mit dem Ausgang des ersten Prozesses gegen Nikolaus Schorn nicht wirklich zufrieden gewesen zu sein. Auch nach Urteilsverkündung ließ die Staatsanwaltschaft weiter Beweismaterial suchen, wie aus dem „Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Nikolaus Schorn“ vom 2. Mai 1949 hervorgeht.[1]

Einige der ehemaligen ungarischen Lagerinsassen erfuhren über Zeitungen wie dem Wiener „Kurier“ und der Budapester „Világ“ von der Verurteilung Schorns.Donnerskirchen 2 ungZeugen Vorschau Über Vermittlung ihrer zuständigen Kultusgemeinde und der Wiener Kultusgemeinde wandten sie sich an das Wiener Landesgericht, und stellten weitere Zeugenaussagen in Aussicht. Nachdem diese ersten Aussagen von ehemaligen Schanzarbeitern eintrafen, holte das Landesgericht im Wege der Rechtshilfe über die ungarischen Behörden weitere ein. 21 Zeugenaussagen gelangten auf diese Weise an die Staatsanwaltschaft. Auch einige österreichische Zeugen wurden erneut einvernommen. Mit dem neuen Material erhoffte sich die Staatsanwaltschaft nicht nur eine Überführung Schorns hinsichtlich der im ersten Verfahren ausgeschiedenen Fakten, sondern auch eine Verurteilung aufgrund von Verbrechen, die ihm dort nicht nachweisbar waren. Der zweite Prozeß gegen Nikolaus Schorn fand zwischen dem 17. und 24. September 1951 im Landesgericht Wien statt.[2]

In diesem zweiten Prozeß war es jetzt für die Staatsanwaltschaft wichtig, die bereits in der Anklageschrift erhobene Anschuldigung der Tötung auch beweisen zu können. Zwei Verbrechen spielten in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle. Zum einen wäre hier die Vorgangsweise Schorns zu nennen, eine Anzahl Ungarn bei der sogenannten Krankenstation durch gezieltes Liegenlassen im Schnee dem Erfrierungstod preiszugeben. Insgesamt zehn ungarische Zeugen erzählten in ihren Aussagen von derartigen Morden an ihren Kameraden. Alle Aussagen zu diesen Vorfällen sind recht einheitlich und lassen den Schluß zu, daß in Donnerskirchen diese Methode des Mordes an ungarischen Juden recht häufig gewesen sein muß.

Im zweiten Fall ging es um die Mißhandlung und die Tötung von ungarischen Zwangsarbeitern durch Ertränken in der Wulka, einem kleinen Fluß in der Nähe der Südostwall-Baustelle. Dieser Vorgang muß für die Ungarn besonders erschreckend und einprägsam gewesen sein, denn hierzu finden sich die meisten Zeugenaussagen. Dreizehn der 21 Zeugenaussagen erwähnen den Vorfall, schildern den Tathergang jedoch in neun unterschiedlichen Versionen. Obwohl es sich bei dem Mord in der Wulka also um eines der zentralen Erinnerungsmotive der Ungarn handelte, war es dem Gericht nicht möglich, zu einer Schuldzuweisung zu kommen. Zu widersprüchlich waren hier die Aussagen.

Nikolaus Schorn bestritt alle gegen ihn erhobenen Anschuldigungen.

Bereits in der Anklageschrift des ersten Prozeßes erhob die Staatsanwaltschaft den Vorwurf der absichtlichen Massentötung gegenüber Schorn und Ortlieb. Werner Dyck, der ehemalige „Leiter der Entlausungsanstalt Donnerskirchen“ erklärte schon damals, daß Schorn wiederholt äußerte, „man müßte das ganze Gesindel totschlagen, vergasen und so weiter.“ Darüberhinaus soll Schorn ihn auch einmal unter Zeugen aufgefordert haben, „den Keller, in welchem sich die Juden befanden, zu vergasen und dabei zu vergessen, die Juden vorher hinauszulassen. Er fügte hinzu, daß dies ein edles Werk sei.“ [3] Auch ungarische Zeugen konnten auf ähnliche Bemerkungen seitens Schorn hinweisen. Géza Hartai hörte öfter von Schorn, sein Ziel sei es, alle Juden umzubringen,[4] während nach Josef Darvas Schorn den Ungarn schon bei ihrer Ankunft mitteilte, daß niemand von ihnen mehr nach Hause gehen werde.[5]

Von der Wehrmacht ließ sich Schorn hinter dem „Weidenstall“ ein für etwa 700 Personen ausgelegtes Massengrab in den tief gefrorenen Boden sprengen. Auch die Größe des Massengrabs ist ein weiterer Hinweis auf die Absicht von Nikolaus Schorn, alle in seinem Machtbereich befindlichen Juden zu töten.

Das Urteil vom 24. September 1951 im zweiten Prozeß gegen Nikolaus Schorn lautete auf lebenslangen Kerker, verschärft durch ein hartes Lager und einen Fastentag vierteljährlich. Er wurde der Tötung zweier 14 - 16jähriger Jugendlicher, der Beihilfe zum Mord an einem Juden, der Anstiftung zum Mord und schließlich auch der „Versetzung in einen qualvollen Zustand“ und der groben Verletzung der Menschenwürde und Menschlichkeit, wobei die Tat den Tod mehrerer Betroffener in nicht mehr feststellbarer Zahl zur Folge hatte, für schuldig befunden.[6] Der Verhängung der Todesstrafe gegen ihn entkam Schorn einzig aufgrund seiner bereits rechtskräftigen Verurteilung zu 4½ Jahren schweren Kerkers. Das Gericht vertrat den Standpunkt, daß die 4½ Jahre Haft aus dem ersten Prozeß und eine nunmehrige Todesstrafe eine nach dem Gesetz unzulässige Verschärfung der Todesstrafe bedeuten würde. 

   Donnerskirchen 2 Anklage VorschauDonnerskirchen 2 Hauptverhandlung VorschauDonnerskirchen 2 Urteil Vorschau

Interessanterweise wurde er aber auch, trotz zahlreicher übereinstimmender Aussagen, von dem Vorwurf, etliche Juden nachts vor dem „Weidenstall“ dem Erfrierungstod preisgegeben zu haben, freigesprochen. Als Begründung führte das Gericht an, daß es nachts keine Bewachung der „Krankenstation“ gegeben habe. Dabei wurde aber übersehen, daß die Kranken nach Schorns eigener Aussage kein geeignetes Schuhwerk mehr besaßen, was eine Flucht erschweren sollte. Darüberhinaus war den übrigen Ungarn der „Krankenstation“ bei Androhung des eigenen Todes verboten, den im Schnee liegenden Kameraden zu helfen. Jedenfalls konnte sich das Gericht bei diesem Tatbestand aufgrund der nicht vorhandenen Bewachung und der Tatsache, daß zu diesen Vorwürfen während des Prozeßes kein Zeuge direkt in Wien aussagte, nicht zu einem Schuldspruch entschließen. Im Laufe des Prozeßes wurden die Zeugenaussagen der ehemaligen Lagerinsassen tatsächlich nur in der Übersetzung verlesen, obwohl beispielsweise die Zeugen Ladislaus Ladányi, Friedrich Farkas, Emmerich Seles und Ladislaus Sugár das Angebot machten, auf eigenen Kosten zur Einvernahme nach Wien anzureisen.

Zur Glaubwürdigkeit der ungarischen Zeugen erklärte das Gericht gar in seinem Urteil, daß es der Meinung sei, sie neigten „zu gewissen Übertreibungen“, die aus ihren schrecklichen Erfahrungen und ihrem, wenn auch berechtigten(!), Haß Schorn gegenüber zu erklären seien.[7]

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[1] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Nikolaus Schorn vom 2. Mai 1949, S. 1f

[2] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Urteil vom 24. September 1951, S. 297

[3] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Aussage des Werner Dyck vom 25. Mai 1945, S. 5

[4] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Protokoll mit Géza Hartai vor dem Strafgerichtshof Budapest am 26. Juni 1950, S. 245ff

[5] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Protokoll mit Josef Darvas vor dem Strafgerichtshof Budapest am 28. Juni 1950, S. 280ff

[6] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Urteil vom 24. September 1951, S. 297ff. Verbrechen des gemeinen Mordes nach §§ 134, 135 Abs. 4 StG, Verbrechen der entfernten Mitschuld am Mord nach § 137 StG, Verbrechen der Anstiftung zum gemeinen Mord nach §§ 5/134, 135 Abs. 4 StG und Verbrechen der Quälereien und Mißhandlungen nach § 3 Abs. 1 und 2 KVG.

[7] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Urteil vom 24. September 1951, S. 313