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Ungarns Weg in den Krieg und die deutsche Besetzung

Die konservative ungarische Regierung unter dem Reichsverweser Miklós Horthy stand einer Annäherung an das nationalsozialistische Deutschland grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Die Expansionsbestrebungen des Deutschen Reiches ließen in Ungarn die Hoffnung aufkommen, ebenfalls eine Revision der Grenzen mit Hilfe des deutschen Einflusses in Angriff nehmen zu können. Immerhin verlor Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg durch den Friedensvertrag von Trianon etwa 67% seines Staatsgebietes und 60% seiner Bevölkerung. Mit dem faschistischen Italien schloß es schon 1927 einen Freundschaftsvertrag. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ungarn beschränkte sich anfangs auf wirtschaftliche Fragen.[1]

Außenpolitisch machte sich die Annäherung an Deutschland für die Ungarn mit den beiden Wiener Schiedssprüchen bezahlt. Am 2. November 1938 erhielt Ungarn auf diese Weise den Südrand der Slowakei und Karpaten-Rußlands zugeschlagen und am 30. August 1940 zusätzlich noch einen Teil Siebenbürgens.[2] In beiden Fällen erließ Horthy als „Gegenleistung“ kurz vorher antijüdische Gesetze.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nahm Ungarn eine defensive Haltung ein, die aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges entsprang.[3] Durch eine Aufsparung der Kräfte sollte Ungarn am Schluß des Krieges, wenn alle anderen kriegführenden Parteien bereits geschwächt waren, noch stark genug sein, um im Donauraum eine konservative Ordnung bestimmen zu können. Nebenher wurde aber auch die Revision der Grenzen angestrebt.

Diese Konzeption veranlaßte den damaligen Ministerpräsidenten Teleki Ungarn am Anfang des Krieges als „nicht-kriegführender Staat (...) mit wohlgesinnter Neutralität gegenüber den Achsenmächten[4] zu deklarieren. An England sandte er schon vor dem 1. September 1939 eine Botschaft mit der Versicherung, sich nicht am Polenfeldzug beteiligen zu wollen. Diese Haltung ermöglichte es auch 130.000 polnischen Soldaten vor den Deutschen über die polnisch-ungarische Grenze zu entkommen.

Der ungarischen Regierung war durchaus bewußt, daß die von ihnen verfolgte Politik gefährlich für sie werden konnte. Aus diesem Grund überwies sie in die USA 5 Millionen Dollar. Für den Fall, daß Ungarn von den Deutschen besetzt würde, sollte davon eine Exilregierung finanziert werden.

Der politische Druck Deutschlands auf Ungarn – vor allem durch die Unterstützung rechtsextremer Gruppierungen – wurde schließlich so stark, daß Ungarn 1940 dem deutsch-italienisch-japanischen Dreimächtepakt beitrat. Insgesamt gesehen schien die konservative Führungsschicht Ungarns der deutschen Regierung aber ein weitaus verläßlicherer Partner für den Krieg zu sein als die rechtsextremen ungarischen Kreise, die beispielsweise mit ihren Bodenreformforderungen für die deutsche Kriegsführung kontraproduktiv erschienen. Nach dem Beitritt Ungarns zum Dreimächtepakt erlosch demnach auch das Interesse an den ungarischen Faschisten.[5]

Nach Deutschlands Angriff auf Griechenland und Yugoslawien im April 1941 beging Ministerpräsident Teleki, der mit Yugoslawien einen Freundschaftsvertrag abgeschlossen hatte, Selbstmord. In seinem Abschiedsbrief an Horthy beklagte er, daß sich Ungarn nun auf „die Seite der Schurken[6] gestellt habe. Der Reichsverweser aber hatte sich für eine Beteiligung am Krieg entschieden. Am 26. Juni 1941 erklärte Ungarn der Sowjetunion den Krieg, am 7. Dezember England, und am 11. Dezember folgte die Kriegserklärung an die USA. Anfangs nahm nur das ungarische schnelle Korps (40.000 Mann) an den Kämpfen teil, um sich nicht zu tief in den Krieg verwickeln zu lassen. Deutschland forderte aber immer wieder den Einsatz der gesamten ungarischen Streitkräfte. Als Kompromiß schickte schließlich der neue Ministerpräsident Bardossy die 2. ungarische Armee (200.000 Mann) an die Front.[7]

Aber bereits im Sommer 1942 versuchte Ministerpräsident Kallay, der Nachfolger des deutschfreundlichen Ministerpräsidenten Bardossy, Ungarn wieder aus dem Krieg herauszulösen. Zu diesem Zweck nahm die Regierung Kallay Fühlung mit den Alliierten auf. Die vernichtende Niederlage der ungarischen 2. Armee bei Woronesch (40.000 Tote, 70.000 Gefangene, 80% Materialverlust) und das Debakel in Stalingrad im Januar 1943 beschleunigten die Verhandlungsbemühungen der Ungarn um einen Sonderfrieden. Im Oktober 1943 führten diese Geheimverhandlungen zu einem provisorischen Waffenstillstandsabkommen.[8] Ungarn verpflichtete sich darin, seine militärische Zusammenarbeit mit Deutschland sukzessive zu verringern, sich einer eventuellen Okkupation zu widersetzen sowie einen Frontwechsel zu vollziehen, sobald die Alliierten die ungarische Grenze erreichten. Obwohl die Verhandlungen und auch der Vertrag streng geheimgehalten wurden, blieben der deutschen Abwehr die Sonderfriedensbemühungen nicht verborgen. Der Druck Deutschlands auf Ungarn verstärkte sich. Nachdem sich Ungarn einmal auf die Seite der Achse geschlagen hatte, war es nun schwierig für sie, sich wieder zurückzuziehen.

Verschiedene Ereignisse trugen zum Verdacht der Deutschen Regierung bei, daß Ungarn eine Annäherung an die Alliierten betreibe. So kam es beispielsweise zu einigen Besuchen ranghoher ungarischer Militärs in der neutralen Türkei. Das führte deutscherseits zu dem Eindruck, die ungarische Seite beteilige sich nur halbherzig an der gemeinsamen Kriegführung. Das Außenamt schickte deshalb zweimal Edmund Veesenmayer als Sonderbeauftragten nach Budapest um die dortige Lage zu erkunden, und um Kontakte zu knüpfen. Im März 1944 hielt man im Reichssicherheitshauptamt den Zeitpunkt für gekommen, um in Ungarn einzugreifen. Hitler bestellte den Reichsverweser Horthy zu einer Besprechung in das Schloß Kleßheim bei Salzburg, einer Außenstelle des Außenministeriums, und erzwang dort von ihm die Einsetzung einer deutschfreundlichen Regierung.[9]

Gleichzeitig mit Horthys Rückkehr nach Budapest am 19. März traf dort der neue Deutsche Gesandte ein. Dabei handelte es sich um niemand anderen als den inzwischen zum SS-Brigadeführer ernannten Edmund Veesenmayer.[10] In einer zeitgleich auf den 19. März 1944 datierten Urkunde ernannte Adolf Hitler Edmund Veesenmayer zum Bevollmächtigten des Großdeutschen Reichs und Gesandten in Ungarn. Aus Artikel 2 des Schriftstückes wird die Machtfülle Veesenmayers deutlich:

Der Reichsbevollmächtigte ist für die gesamte politische Entwicklung in Ungarn verantwortlich und erhält seine Weisungen durch den Reichsminister des Auswärtigen. Er hat insbesondere die Aufgabe, in Ungarn die Bildung einer neuen nationalen Regierung in die Wege zu leiten, die entschlossen ist, ihre Bündnispflichten aus dem Dreimächtepakt loyal und bis zum Endsieg zu erfüllen. Der Reichsbevollmächtigte hat diese Regierung maßgebend zu beraten und ihr gegenüber sämtliche Interessen des Reichs zu vertreten.“

Während der folgenden Verhandlungen zur Aufstellung einer neuen ungarischen Regierung setzte sich auf deutscher Seite schließlich die Ansicht Veesenmayers durch, lieber mit als gegen Horthy zu regieren. Deshalb stammten die Minister der neuen Regierung allesamt aus der traditionellen Führungsschicht, erst unter den Staatssekretären waren extreme Antisemiten zu finden. Staatssekretär für politische (= jüdische) Fragen war Lászlo Endre, Staatssekretär für die Gendarmerie war Lászlo Baky. Die wirkliche politische Macht aber lag bei Veesenmayer, der mit seinen Mitarbeitern Feine, Boden, Hezinger, Grell, Triska, Brunhoff, Ballensiefen und Rekowsky die eigentliche Regierung Ungarns stellte. Ebenfalls am 19. März marschierten Einheiten der Wehrmacht, der SS und Polizei sowie zahlreiche Vertreter des Außenamtes und der Privatindustrie in Ungarn ein.[11]

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[1] Der am 4. Juni 1920 in Trianon unterzeichnete Friedensvertrag behandelte Ungarn als Nachfolgestaat der Donaumonarchie und damit als Kriegsanstifter. Die Slowakei, Karpaten-Ukraine, Kroatien-Slawonien, das Banat, Siebenbürgen und das Burgenland mußten an andere Staaten abgegeben werden. 3 Millionen Magyaren lebten seitdem außerhalb der ungarischen Grenzen. Lasló Varga. Ungarn. In: Wolfgang Benz (Hg.). Dimensionen des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. München 1991, S. 331. Eberhard Jäckel, Peter Longerich, Julius H. Schoeps (Hg.). Enzyklopädie des Holocaust. 3 Bände. Berlin 1993. Band 3, S. 1462 – 1468.

[2] Die zwei Wiener Schiedssprüche waren ein Ergebnis des Münchener Abkommens vom 29. September 1938, in dem es um die „Lösung“ der „tschechischen Frage“ ging. Varga, S. 332f und 338. Für den neuen Verlauf der ungarischen Grenzen siehe Randolph L. Braham: The politics of genocide. The holocaust in Hungary. 2 Bde. New York 1981. Karte 4.1. (Braham: politics)

[3] Vgl. zum Folgenden István Deák. Historical Foundations. The Development of Hungary from 1918 until 1945. In: Klaus-Detlev Grothusen (Hg.). Ungarn. Göttingen 1987 (=Südosteuropa-Handbuch Bd. 5) , S. 36 – 66 (Deák). Außerdem Miklós Szinai. Ungarn im Zweiten Weltkrieg. In: Aurelius Freytag, Boris Marte, Thomas Stern (Hg.): Geschichte und Verantwortung. Wien 1988, S. 421 - 429 (Szinai)

[4] Zitiert nach Szinai, S. 422

[5] Szinai, S. 423

[6] Zitiert nach Szinai, S. 424

[7] Szinai, S. 424

[8] Deák, S. 62f / Szinai, S. 426

[9] Raul Hilberg. Die Vernichtung der europäischen Juden. 3 Bde. Frankfurt a.M. 1990, S. 884f (Hilberg)

[10] United Restitution Organization (Hg.): Judenverfolgung in Ungarn. Dokumentensammlung. Frankfurt a.M. 1959, S. 164f: Abschrift des Dokumentes NG 2947 des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg. Im selben Schreiben wird die Einsetzung eines Höheren SS- und Polizeiführers für die zahlreichen einmarschierenden SS- und Polizeieinheiten angekündigt. Diesen Posten bekleidete schließlich Otto Winkelmann. Auch er wurde am 15. März befördert, und zwar zum Obergruppenführer und General der Polizei.  Vgl. Ruth Bettina Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten. Düsseldorf 1986, S. 348.

[11] Vgl. Hilberg, S. 885f und Hans Safrian: Die Eichmann-Männer. Wien, Zürich 1993, S. 295