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Strem. Ein Fluchtversuch

Mitte März 1945 flüchteten zwei Ungarn aus dem Lager. Sie waren bereits auf ungarischem Gebiet, als sie von ungarischer Gendarmerie aufgriffen wurden. An der Grenze, in der Nähe des Zollhauses, übergaben die Gendarmen die Flüchtigen wieder der Lagerleitung. Unterabschnittsführer Paul Schmidt nahm sie persönlich in Empfang und ließ sie zurück ins Lager bringen. Einige andere Häftlinge wurden anschließend beauftragt ein Grab auszuheben. Gegen 18 Uhr ließ Schmidt das ganze Lager zum Appell antreten.
Nach dem Krieg behauptete Schmidt in einem Volkgerichtsprozeß gegen ihn, dass zu diesem Zeitpunkt ein Befehl von Kreisleiter Eduard Meissl existierte, wonach für jeden flüchtigen Juden 10 andere Juden erschossen werden sollten. Im direkten Gespräch habe er aber Meissl umstimmen können. Angeblich gab sich der Kreisleiter mit der Erschießung der beiden geflüchteten Ungarn zufrieden.[1] Bei dieser Schilderung handelt es sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach um eine geschönte Version der Vorkommnisse die Schmidt dem Gericht auftischte (und der das Gericht auch tatsächlich folgte!). Dadurch, dass er den Kreisleiter angeblich dazu bewegen konnte nur die beiden Geflüchteten statt zehn Juden zu töten, gelang es Schmidt sich indirekt als „Retter“ von acht Ungarn darzustellen. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Anordnung zur Erschießung von zehn Geiseln (falls sie überhaupt existierte!) nur bei einer tatsächlich gelungenen Flucht hätte angewendet werden sollen. Beim Aufgreifen von geflüchteten ungarischen Juden wurden aller bisherigen Erfahrung nach immer "nur" die an der Flucht Beteiligten zur Rechenschaft gezogen.
Gegen 18 Uhr am Abend sprach Schmidt vor den versammelt angetretenen Ungarn über das Fluchtverbot. Anschließend ließ er die beiden Geflüchteten an das ausgehobene Grab herantreten und tötete sie mit seiner Dienstpistole durch Genickschuß.[2] Zeugen gaben an, dass Schmidt zu diesem Zeitpunkt betrunken war.

 

[1] LG Wien Vg 1 Vr 900/45 gegen Schmidt u.a., Urteil, Blatt 475.

[2] LG Wien Vg 1 Vr 900/45 gegen Schmidt u.a., Urteil, Blatt 477.