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Siegendorf. Massengräber am "Skradnji Brig"

Die Typhustoten des Siegendorfer Lagers wurden nicht am Ortsfriedhof bestattet. Stattdessen legte man in dessen Nähe einen Lagerfriedhof an. Die ersten Bestattungen erfolgten in Einzelgräbern. Ab Mitte März wurden die Toten in Mehrfachgräbern beerdigt. Es gab keine Särge, man beerdigte die Toten in Papiersäcken. Überlebenden zufolge tolerierte die Lagerleitung die Bestattung nach jüdischem Ritus.[1]

Skradnji Brig 1993 VorschauDer Lagerfriedhof befand sich ca. 1,5 km vom Lager entfernt an einem Ort der umgangssprachlich „Skradnji Brig“ bzw. „Hinterer Berg“ genannt wurde. Die oftmaligen Totentransporte, die von Zwangsarbeitern mit Hilfe eines Karren bewerkstelligt werden mussten, blieben den Siegendorfern nicht verborgen. Auch die genaue Lage des Lagerfriedhofes war im Ort wohl bekannt.Skradnji Brig 2016 Vorschau

Nach dem Krieg wurde auf der Begräbnisstätte eine ca. 20 cm hohe quadratische Einfassung errichtet, und damit eine ca. 6 m² große Fläche umfasst. In der Mitte der Einfassung steht ein aus Beton gegossener Stein. Die eigentliche Begräbnisfläche ging weit über diese Einfassung hinaus und bestand aus mehreren Einzel- und Mehrfachgräbern. Spätestens für das Jahr 1960 ist die Aufstellung des Gedenksteins belegt, da der Siegendorfer Ortschronist Julius Ugrinovits in seinen Erinnerungen darauf Bezug nimmt.[2] Es ist anzunehmen, dass der Gedenkstein in der unmittelbaren Nachkriegszeit errichtet wurde, also in einer Zeit, in der die Rote Armee im Ort noch präsent war.

Während der Suche nach Zeitzeugen für das Projekt „Forschen und Erinnern“ stießen wir im Sommer 2016 eine zu Kriegsende siebenjährige Zeitzeugin. Sie erzählte, mit ihrem jüngeren Bruder aus einem Versteck heraus Augenzeugin einer Erschießung von 5-8 Juden gleich beim Lagerfriedhof „Skradnji Brig“ gewesen zu sein.[3] Zeitlich ordnete sie diese Erschießung in die letzten Tage vor der Befreiung ein. Sie sahen, wie  die Juden sich ihr Grab schaufeln mussten, anschließend wurden ihnen Papiersäcke über den Kopf gestülpt. Als die Kinder die Tragweite des Gesehenen erkannten, flüchteten sie schnell heim zu ihrer Mutter, hörten im Wegrennen aber noch die Gewehrsalven. Aus Angst vor Konsequenzen seitens der örtlichen Nazis redete die Mutter den beiden Kindern ein, dass das Gesehene lediglich ihrer Phantasie entsprungen sei. Lange Jahre blieb diese Erinnerung tatsächlich verborgen. Erst in späteren Jahren konnte sich die Zeitzeugin wieder an das Geschehen erinnern, zuletzt sogar ziemlich deutlich. Die genaue Verortung ca. 30 m vor dem bekannten Massengrab, die neuerliche Erwähnung der Papiersäcke als Ersatz für Särge und die innere Überzeugung der Zeitzeugin lassen die Erzählung allerdings sehr glaubhaft erscheinen.BLA Kriegsgräberfürsorge Vorschau

Siegendorf Patronenhülsen VorschauAus dem Jahr 1946 stammt ein weiteres Indiz für dieses Grab. Damals führte das Land Burgenland eine Umfrage unter den burgenländischen Gemeinden durch. Es wurde konkret nach Hinweisen über Massengräbern von Juden gefragt. Die Gemeinde Siegendorf unter dem damaligen Bürgermeister Hans Springschitz gab an, dass es unmittelbar neben einem Massengrab auf freiem Feld mit 69 Toten zusätzlich ein weiteres Grab mit 5 Toten geben soll.[4]

Von der Annahme ausgehend, dass diese Erschießung tatsächlich nahe dem bekannten Massengrab stattgefunden hat, wurde im August 2016 versucht, im Boden Hinweise auf die Tat zu finden. Mittels Metalldetektors konnten an genau der angegebenen Stelle in einer Tiefe von ca. 10 – 20 cm fünf Patronenhülsen gefunden werden. Die Patronenhülsen stammten laut Bodenprägung aus dem Jahr 1942. Von Kampfhandlungen konnten die Patronen nicht herrühren, da dieses Gebiet nie Kampfzone war. Eine intensive Suche nach diesen Kriegstoten ist noch ausständig. Die Grabungserlaubnis der Urbarialgemeinde Siegendorf als Grundeigentümer liegt jedoch bereits vor.

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[1] János Hajnal: A „Siegendorfra emlékezem ...“ (dt. Siegendorfer Erinnerungen) in Soproni Szemle (Ödenburger Rundschau), Jg. XXXVIII, Nr. 1, 1984 bzw. Jg. XL, Nr. 1, 1986

[2] Julius Ugrinovits: Als die Russen kamen ...; Teil der ortskundlichen Materialsammlung, die Ugrinovits als Ortschronist zusammengestellt hat. Darin beschreibt er fragmentarisch auch das Schicksal der Siegendorfer jüdischen Zwangsarbeiter.

[3] Protokoll des Gespräches mit Stefanie Pfaffelmayer, 19. August 2016

[4] Bgld. Landesarchiv (BLA), Kriegsgräberfürsorge. LAD / I - 15 – 1947, Datensatz 40, Mitteilung der Gemeinde Siegendorf vom 7. November 1946