Im September 1964 setzte das Innenministerium die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien davon in Kenntnis, dass sich außerhalb des Friedhofs ein Massengrab mit geschätzten 19 und auf dem Ortsfriedhof ein Massengrab mit ca. 21 jüdischen Märtyrer befinden soll.[1] Kurz danach, am 24. November 1964, unternahmen die Mitarbeiter der Technischen Abteilung der IKG Wien im Rahmen einer als „Feldsberg Initiative“ bezeichneten Suchaktion nach Massengräbern, eine Dienstreise ins Burgenland. Ziel dieser vom damaligen Präsidenten der IKG Wien, Dr. Ernst Feldsberg, initiierten Aktion war die Lokalisierung von Massengräbern, die Exhumierung der jüdischen Opfer und deren würdige Wiederbestattung – im Idealfall auf einem jüdischen Friedhof. Ihre Dienstreise führte sie auch nach Siegendorf, wo sie zum Massengrab beim „Skradnji Brig“ geführt wurden. Eine Abschrift aus dem Totenbuch, in dem die persönlichen Daten von 43 Opfern eingetragen waren, wurde der IKG ebenfalls ausgehändigt. Der Gedenkstein war zu diesem Zeitpunkt mit einem Kranz geschmückt, wie im Protokoll dieser Reise extra vermerkt wurde. Unabhängig davon veröffentlichte das Ungarische Rote Kreuz im Amtsblatt der Budapester Kultusgemeinde „Uj Élet“ 1966 die Namensliste der 43 Toten von Siegendorf. Damit kamen sie einer Bitte des Suchdienstes des Österreichischen Roten Kreuzes nach. Die Zeitungsannonce ging von der Annahme aus, dass es sich bei den Toten um die Opfer eines Todesmarsches handelt. Von einem im Dorf befindlichen Judenlager wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprochen. Ziel der Schaltung war es, Angehörige der Opfer zu finden. Zumindest von zwei Opfern meldeten sich Angehörige bei der Gemeinde Siegendorf.
Am 28. März 1967 stellte die Israelitische Kultusgemeinde Wien den Antrag auf Exhumierung dieser Toten. Am 13. Juni 1967 erließ die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt den diesbezüglichen Bescheid. Auch die Behörde ging zu diesem Zeitpunkt noch von Opfern eines Todesmarsches aus. Entsprechend dem Antrag der IKG war die Wiederbestattung am jüngeren Jüdischen Friedhof in Eisenstadt vorgesehen.[2] Trotz gültigen Bescheides vergingen weitere 15 Jahre, bis die nächsten Schritte in dieser Angelegenheit unternommen wurden. Offenkundig gab es innerhalb der IKG keine einheitliche Position bezüglich der Auslegung der diesbezüglichen halachischen Regeln. Im Juni 1982 unternahm die Technische Abteilung der IKG eine weitere Fahrt nach Siegendorf – im Grunde mit demselben Ergebnis: Nach dem Besuch der Beerdigungsstätte wurden der IKG ein weiteres Mal die Abschrift mit den Namen der jüdischen Märtyrer aus dem Totenbuch übergeben. Die Frage nach der jüdischen bzw. sowjetischen Herkunft von Toten auf dem Ortsfriedhofs wurde ebenfalls diskutiert, konnte aber nicht eindeutig geklärt werden, weshalb das Augenmerk weiter auf die Exhumierung der Toten beim Skradnji Brig blieb.
Ein halbes Jahr später trat die IKG erneut an die burgenländischen Behörden heran, die ihrerseits inzwischen kein größeres Interesse mehr an einer baldigen Umbettung erkennen ließen. In einem Brief an Landeshauptmann Kery ersuchte die IKG diesen um seine Hilfe.[3] Kery beauftragte den damaligen Landesamtsdirektor – den ranghöchsten Beamten – sich der Sache persönlich anzunehmen. Im Beisein von Vertretern der Landesregierung, des Innenministeriums, der Gemeinde Siegendorf und der IKG Wien wurde die weitere Vorgangsweise besprochen. Unter anderem wurde festgelegt, dass der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) mit der Exhumierung betraut werden sollte, und die Toten am Eisenstädter jüdische Friedhof wiederbestattet werden sollten. Einem dritten Lokalaugenschein folgten schließlich im Oktober 1985 die Bergungsarbeiten der Toten durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Die Gemeinde Siegendorf unterstützte die Arbeiten durch die Überlassung von Gemeindearbeitern. Unter Anwesenheit eines Vertreters der IKG wurden die Toten am 14. Oktober 1985 exhumiert, die sterblichen Überreste in kleine Holzsärge gelegt, und in Eisenstadt wiederbestattet. Das Massengrab ist mit 67 Toten belegt. Zwar waren die Toten damit in geweihter Erde bestattet, doch noch verfügten die Gräber über keine Grabsteine und keinen Verweis auf die darin begrabenen Menschen.
1988 fand am Friedhof von Eisenstadt eine Besprechung von Vertreter der IKG Wien, der Burgenländischen Landesregierung und des Innenministeriums statt. Das Massengrab von Siegendorf und ein weiteres mit Opfern aus dem Raum Güssing sollten Grabsteine erhalten und architektonisch ansprechende gestaltet werden. Laut Protokoll dieser Besprechung war man der Meinung, dass es im Burgenland zu keinen weiteren Exhumierungen von jüdischen Kriegstoten mehr kommen würde, und daher auch keine weiteren Toten mehr in diese Gräber aufgenommen werden müssen. Die geplante große Grabanlage wurde zwar nicht realisiert, aber in den 1990ern, knapp 30 Jahre nach der ersten behördlichen Aufforderung zur Exhumierung, wurde ein Grabstein errichtet, der auf das Schicksal der in den Gräbern beerdigten Menschen verweist. Auf der Vorderseite befindet sich folgende vom Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs initiierte Inschrift in deutscher und hebräischer Sprache:
Hier ruhen 67 jüdische Märtyrer, die im Jahre 1944/45 in der Siegendorfer Zuckerfabrik Zwangsarbeit verrichteten, knapp vor ihrer Befreiung in den Monaten Februar und März 1945 an Unterernährung und Erschöpfung starben und vor Ort verscharrt wurden. Die sterblichen Überreste wurden im Oktober 1985 exhumiert und hier zur letzten Ruhe bestattet. Ihr Andenken sei gesegnet!
Der Text der Inschrift ist insofern historisch unpräzise, da die jüdischen Zwangsarbeiter vornehmlich am Ostwall zu arbeiten hatten und für die Arbeiten in der Zuckerfabrik kaum herangezogen wurden. Auf der Rückseite des Grabsteins befinden sich die Namen der 43 bekannten Opfer des Siegendorfer Lagers in der „eingedeutschten“ Namensschreibung.
Von einer anlässlich der Wiederbestattung der Juden von Siegendorf geplanten Gedenkzeremonie wurde Abstand genommen.
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[1] Woher diese nachweislich falschen Angaben stammen ist nicht geklärt. Vergl. Feldsberg Initiative, Mappe Siegendorf, internes Dokument des Technischen Amtes der IKG Wien vom 30. September 1964
[2] Der Bescheid berücksichtigte nicht nur die Toten beim Skradnji Brig (Hinteren Berg), sondern auch jüdische Tote, die am Friedhof bestattet wurden. Feldsberg Initiative, Mappe Siegendorf, Bescheid der BH Eisenstadt vom 13.6.1967, Aktenzahl: VII-J-9-1967
[3] Bgld. Landesregierung, Abt. II, Ordner Jüdische Kriegstote allgemein, Brief der IKG vom 12. Dezember 1983